Samstag, 1. Oktober 2011

öffentlichkeit ist die grundvoraussetzung von fortschritt.

Offentlichkeit

das soeben erschienene buch von jeff jarvis »public parts« bietet eine lesenswerte kulturgeschichte der auffassung von privat und öffentlich; eine frage, die uns zur zeit in deutschland in der politischen debatte massiv verfolgt, und die den eindruck entstehen lässt, die deutschen müssten ihre vermuteten kriminellen, perversen oder anderweitig problematischen machenschaften geheim halten und daher etwa auch vor facebook und vergleichbarem geschützt werden.

 

jarvis, selbst eher distanziert kritisch unterwegs, hält ein entschiedenes plädoyer für öffentlichkeit und öffnung.

  • öffentlichkeit ist die grundvoraussetzung von fortschritt. denn nur wenn ideen sich mischen können, anstatt im eigenen saft zu schmoren, entsteht etwas grundlegend neues. (beispielhaft nennt jarvis abfallprodukte der raumforschung und der militärtechnik, wie die teflonpfanne, die endoskopische kamera oder die entwicklung von twitter zur informationsplattform)
     
  • oft sind es nicht die erfinder, sondern die nutzer, die das eigentliche potenzial einer erfindung erkennen. also: öffentlichkeit sorgt für viele nutzer und für kollektive erkenntnis.
     
  • wenn wir uns in die öffentlichkeit begeben, sollten wir zuerst die positive wirkung sehen und aufhören ständig in der kategorie zu denken, »es könnte etwas schlechtes passieren«. dafür dürfen wir unseren inneren regler für »öffentlich« versus »privat« nicht voreingestellt auf »privat« stehenlassen.
     
  • wir sollten eine undogmatische nutzen-risiko-abwägung vornehmen und das verhältnis zwischen der preisgabe von daten und dem im gegenzug erreichten nutzen sachlich bewerten. jarvis nimmt es z.b. in kauf (wie übrigens auch ich), dass z.b. google, amazon und diverse adtracker daten über ihn sammeln, wenn er dafür im gegenzug rabatte und passendere angebote erhält.
     
  • den insbesondere deutschen reflex nach möglichst geringer preisgabe von daten und möglichst rigider datenkotrolle hält jarvis nicht für zielführend. am beispiel seiner eigener prostatakrebs-op und dem öffentlichen umgang damit macht er deutlich, welche hilfe dies für andere männer war, ihre scheu vor diesem thema abzulegen und rechtzeitig vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen.
     
  • das öffentliche leben vieler im netz führt zu neuen interessensgruppierungen, zur kollaboration und zu neuen relevanten entdeckungen. die informations- und meinungsmacht weniger redakteure und publikationen wird durch die fülle von sozialen empfehlungen im netz zur wahren wundertüte. dies wird nur möglich, weil nutzer über plattformen wie twitter, facebook oder google+ neue öffentlichkeiten organisieren.
     
  • jarvis sieht offenheit als basis für die meisten lebensbereiche. was er sich noch nicht richtig vorstellen kann, ist die entsprechende öffnung politischer entscheidungsprozesse. hier sieht jarvis immer noch die macht bei den massenmedien, deren mechanismen und wirkungskraft sich politiker unterwerfen. dass diese position und auch die rolle der massenmedien deutlich ins wanken gerät, zeigt nicht nur der wahlerfolg der piraten in berlin, sondern auch die damit in den mainstream geratene neue offenheit, der sich jetzt auch die politische elite in neuer weise stellen muss.

Public-parts
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jeff jarvis ist in der medienszene bestens bekannt: als fernsehkritiker schrieb er für den »tv guide« und das »people magazine«. dann gründete er die zeitschrift »entertainment weekly« und arbeitet für die »new york daily mail«. heute ist der associate professor für journalismus an der city university of new york und berät medienunternehmen. vor allem aber ist er autor von buzzmachine, einem der weltweit bekanntesten medienblogs. 2009 erschien sein buch »what would google do?«, indem er die strategie des suchkonzerns auf andere branchen übertrug. für wired deutschland vom september 2011 schrieb jarvis exklusiv über den ersten deutschen geek: johannes gutenberg. er vergleicht den erfinder des buchdrucks mit den startup-gründern des 21. jahrhundert und fordert für gutenberg einen neuen ehrentitel: »schutzpatron des silicon valley«.

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